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Baumeister und Ingenieur Cornelis Ryckwaert

Schon wenige Jahre nach dem Regierungsantritt des Fürsten Carl Wilhelm reifte der Plan, einen Schlossbau im Stil des Barock in Angriff zu nehmen. Zu diesem Zweck beauftragte er den Baumeister und Ingenieur Cornelis Ryckwaert (gest. 1693) [1], Entwürfe für eine neue Anlage anzufertigen.
Ryckwaert, vermutlich der Sohn eines Theologen aus Utrecht in den Niederlanden, stand in den Diensten des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688). [2] Dieser berief ihn wie viele andere niederländische Architekten, Ingenieure, Künstler und Handwerker nach Brandenburg. Schließlich avancierte Ryckwaert zum am meisten beschäftigten Baumeister des Regenten. Durch diese Maßnahmen holte er nicht nur verloren gegangenes Wissen in sein Land, sondern trug gleichzeitig aktiv zum Erstarken von Wirtschaft und Handel bei. Denn auch die Gebiete seines Herrschaftsbereiches litten stark unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges. Somit standen das Bauwesen in Brandenburg sowie andere künstlerische und technische Gebiete unter starkem niederländischen Einfluss. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Brandenburg und Anhalt ermöglichten es, Ryckwaert auch mit anhaltischen Projekten zu betrauen.
Cornelis Ryckwaert wurde künstlerisch vom Baumeister Pieter Post beeinflusst, aus dessen Schule er wahrscheinlich hervorging. Im Jahr 1652 taucht Ryckwaerts Name erstmals im Zusammenhang mit der Ernennung von Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604-1679) zum Reichsfürsten und der Berufung zum Herrenmeister des Johanniterordens auf. Vermutlich kamen beide 1647 gemeinsam nach Brandenburg. Ryckwaert erbaute für den Fürsten das Schloss Sonnenburg in der Neumark (heute Slonsk in Polen). In diesem Zusammenhang ist der Baumeister 1662 aktenkundig. Während Ryckwaert den Bau leitete, stammten die Pläne dazu von Pieter Post. [3] Das schlichte, streng niederländisch orientierte Schloss hatte große Ähnlichkeit mit dem ebenfalls von Post erbauten Huis ten Bosch bei Den Haag [4].
Nach Abschluss der Arbeiten am Sonnenburger Schloss trat Ryckwaert 1667 in brandenburgische Dienste und wurde Festungsbauleiter in Küstrin. Diesen Ort erwählte er zu seinem Wohnsitz und behielt ihn bis zu seinem Ableben bei.
Parallel zu seinen Fortifikationsarbeiten in Küstrin übernahm er in den Jahren 1670 bis 1674 die Errichtung des Corps de logis des Schlosses Schwedt (Oder). Bei diesem großen Projekt konnte er erstmals seine Fähigkeiten als Architekt unter Beweis stellen. [5] Im Jahr 1684 legte ein Großfeuer die Stadt Schwedt in Schutt und Asche. Daraufhin reiste Ryckwaert erneut dorthin, um Pläne für den Aufbau der Stadt nach einem regelmäßigen barocken Schema zu entwerfen.
Zwischenzeitlich, 1675, hielt er sich in Frankfurt (Oder) auf und war am Ausbau des Junkerhauses beteiligt, dem Wohnhaus für junge Adelige während ihres Besuchs der Universität. [6] Im April des Jahres 1675 taucht sein Name erstmals in Anhalt auf. In den Zerbster Kammerrechnungen heißt es: "100 Taler auf Gnädigst. Befehl dem Chur-Brandenburgischen Baumeister Hn. Cornelio zum Recompens gezahlt den 10. April 1675" [7]. Auch in den folgenden Jahren, noch vor Beginn des Schlossbaus in Zerbst, erhielt Ryckwaert Geld von der fürstlichen Kammer. Unter anderem war er an der Errichtung des Schlosses Coswig beteiligt. [8] Welche Dienstleistungen er darüber hinaus erbrachte, ist unbekannt.
Ryckwaert zeichnete auch Entwürfe für Schloss Hohenfinow bei Eberswalde, das von 1680 bis 1685 entstand. [9] An der Innenausstattung war der Stuckateur Simonetti beteiligt.
Im Jahr 1681 begann in Zerbst der Bau des Corps de logis des Residenzschlosses nach Ryckwaerts Entwürfen und unter seiner Aufsicht. Die Vollendung des Traktes erlebte er jedoch nicht mehr. Ryckwaert war dem Fürsten Carl Wilhelm (1652-1718) auch auf anderem Gebiet dienlich. So vermittelte er ihm ein Teeservice [10], das wohl aus den Niederlanden stammte, und "allerhand mechanische Instrumente, so zu des Hochfürstl. ältesten Prinzens Heil. Christ. Bescherung mit verwendet worden" [11]. Parallel zum Schloss liefen seit 1683 die Arbeiten am Bau der Zerbster St. Trinitatiskirche. [12] Die Pläne für dieses Gotteshaus entstammten ebenfalls der Feder Ryckwaerts. Das niederländisch geprägte, 1696 eingeweihte Bauwerk weist in seiner Rezeption eine deutliche Verwandtschaft zur Oosterkerk in Amsterdam auf. [13] Auch Teile des Schlossgartens wurden nach seinen Plänen umgestaltet.
Von 1683 [14] bis um 1685 erfolgte der Bau des Schlosses Oranienbaum. Ryckwaert schuf die Pläne für diesen Landsitz der Henriette Catharina von Anhalt-Dessau, einer geborenen Prinzessin von Nassau-Oranien. Neben der Anfertigung der Entwürfe zum Gebäude werden Ryckwaert auch die Konzepte zum Schlossgarten und zur barocken Stadtanlage zugeschrieben. Der Landsitz wurde in einer zweiten großen Bauphase von 1698 bis um 1702 zum Witwensitz der Fürstin erweitert und ausgebaut. [15]
Im Jahr 1682 hatte Ryckwaert mit der Anlage einer Gierbrücke über die Elbe bei Dessau eine rein ingenieurtechnische Aufgabe zu lösen. Auch in Dessau selbst entstanden einige Gebäude nach seinen Entwürfen, darunter wohl die ehemaligen Kolonnaden am Schlossplatz, die sogenannten Buden [16].
Ab 1684 war Ryckwaert mit dem Ausbau des Hafens bei Rügenwalde in Pommern betraut.
In den Jahren 1689/90 hielt sich Ryckwaert nachweislich mehrfach in Lagow in der Neumark (heute Logów in Polen) auf. Dort errichtete er 1690/91 für Graf Georg Friedrich von Waldeck (1620-1692), der 1689 zum Ordenssenior und Herrenmeister des Johanniterordens gewählt wurde, den Westtrakt einer vierflügeligen Schlossanlage. [17]
Kurz vor seinem Tod übernahm er mit den Vorbereitungen zum Bau des Schlosses Frankfurt (Oder) eine weitere, sehr umfangreiche Aufgabe. Die von ihm betreuten Arbeiten kamen jedoch über die Fundamentierung nicht hinaus. Am 9. November 1693 starb er in Küstrin.
Cornelis Ryckwaert gehörte zwar nicht zu den bedeutendsten Baumeistern seiner Zeit, doch hatte er an der Entwicklung der Architektur in Kurbrandenburg und Anhalt großen Anteil. Mit ihm zog der holländische Klassizismus ein und brachte einen Neubeginn nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg. "Mit großen reichen Mitteln Erfolg haben und Wirkung erzielen, ist im allgemeinen leicht, mit dem Einfachsten aber zu wirken, auch das Schlichte bedeutungsvoll zu machen, ist eine Kunst, und diese Kunst beherrschte Cornelis Ryckwaert." [18]

Auszug aus dem Buch:
Dirk Herrmann, "Schloss Zerbst in Anhalt", Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2005

[1] Ryckwaerts Geburtsdatum ist unbekannt.
[2]Der brandenburgische Kurfürst war mit den niederländischen Verhältnissen durch einen längeren Studienaufenthalt und seine Vermählung mit Luise Henriette von Nassau-Oranien (1627-1667) bestens vertraut. Politische und wirtschaftliche Beziehungen sowie kirchliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern förderten die Entwicklung in Brandenburg nach dem Dreißigjährigen Krieg.
[3] Das Schloss des Johanniterordens in Sonnenburg brannte 1975 völlig aus. Nur die stark beschädigte Ruine ist erhalten.
[4] Huis ten Bosch wurde in den Jahren 1645 bis 1648 von Pieter Post für Amalia von Solms-Braunfels (1602-1675), der Ehefrau des Statthalters der Niederlande Friedrich Heinrich (1584-1647) erbaut. Das Gebäude erfuhr später mehrere Veränderungen und ist heute Wohnsitz der Königin der Niederlande.
[5] Das Schwedter Schloss wurde in der Folgezeit um zwei Flügelbauten erweitert und mehrmals stark verändert. Das vollendete Gebäude ließ kaum noch etwas von dem ursprünglichen Baukörper Ryckwaerts erkennen. Das 1945 stark zerstörte Schloss wurde später abgebrochen.
[6] Das ehemalige Junkerhaus überstand den Bombenangriff von 1945. Nach einer grundlegenden Sanierung des Gebäudes inklusive der Stuckaturen wurde das Museum "Viadrina" mit den stadtgeschichtlichen Sammlungen 2003 wiedereröffnet.
[7] LHASA, DE, Kammerrechnung Zerbst 1674/75
[8] Das Schloss Coswig wurde ab 1670 als Witwensitz für die Zerbster Fürstinnen errichtet. Das Äußere ist in seinen Grundzügen noch heute erhalten.
[9] Das Schloss erhielt im 19. Jahrhundert eine völlig andere Gestalt. Die noch vorhandenen barocken Stuckdecken wurden nach 1945 dem Verfall preisgegeben. Nach 1961 erfolgte schließlich der Abbruch des ruinösen Gebäudes.
[10] "43 Thlr dem Herrn Baumeister Cornelio Ryckwärts vor einiges an des Regierenden Herrns Hochfürstl. Durchl. verhandelter Geschirr zum Tee trinken" (LHASA, DE, Kammerrechnung Zerbst 1685/86).
[11] LHASA, DE, Kammerrechnung Zerbst 1691/92
[12] Ein Vergleich vom 27. September 1679 regelte die lange Zeit schwelenden Religionsstreitigkeiten in Zerbst. Die bestehende gotische St. Nikolaikirche sollte den Reformierten vorbehalten bleiben, für die lutherische Gemeinde war eine neue Kirche in unmittelbarer Nachbarschaft vorgesehen. Die Grundsteinlegung erfolgte am 4. Juni 1683, die Weihe fand am 16. Oktober 1696, dem 44. Geburtstag des Fürsten Carl Wilhelm, mit einem öffentlichen Gottesdienst statt.
[13] Trotz der schweren Zerstörungen vom 16. April 1945 konnte die Kirche gerettet und später etwas vereinfacht wieder aufgebaut werden.
[14] Dem bereits 1681 angesetzten Baubeginn des Schlosses kann nicht gefolgt werden (Bechler 2002, S. 33). Dagegen sprechen die Datumsangabe in Beckmann 1710 (S. 392), der in der Regel sehr zuverlässig ist, die umfangreichen Ziegellieferungen für den Schlossbau erst ab Mitte 1682 bis 1684 - in Zerbst wurden sogar drei Jahre vor der Grundsteinlegung zum Corps de logis Ziegel für den bevorstehenden Neubau gebrannt - und die Tatsache, dass die Fürstin Henriette Catharina den Landsitz erst 1679/80 renovieren ließ (Bechler 2002, S. 83). Die Inanspruchnahme des Datums 1681 aus dem Schreiben eines Anonymus (Bechler 2002, S. 193), der nicht einmal das Fertigstellungsdatum wusste, ist nicht gerechtfertigt.
[15] Schloss Oranienbaum überstand die Wirren der Zeit und ist seit 2003 als Museumsschloss für Besucher zugänglich. Allerdings sind nur wenige Mobilien aus der Zeit Henriette Catharinas erhalten.
[16] Die Kolonnaden wurden während des Bombenangriffs auf Dessau 1945 vernichtet.
[17] Der eigentliche Wohnsitz des Grafen und zugleich Hauptsitz des Ordens war Schloss Sonnenburg, an dem Ryckwaert bereits tätig war. Die ehemalige Johanniterordenkomturei in Lagow, auf einer Anhöhe zwischen zwei Seen gelegen, beherbergt heute ein Hotel.
[18] Kempen 1924, S. 250, 251