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Ein seltsamer Turm im Schloßgarten

Ein Turm besonderer Art stand im 18. Jahrhundert im Zerbster Schloßgarten. Es war kein Aussichtsturm — als solcher diente der Schloßturm mit seiner unteren Plattform in etwa 30 Meter Höhe — sondern ein Turm für ein bemerkenswertes Gewächs, die "Aloepflanze", eine Agave americana. Diese Pflanze mit ihren weit in die Höhe ragenden, bis zu acht Meter hohen Blütenschäften ließen sich nicht mehr in die Orangerien transportieren. Außerdem konnten die zu der Zeit bestehenden Orangerien in denen unter andrem verschiedene große Palmenarten und Orangenbäume überwinterten, trotz ihrer Größe die Pflanzen nicht aufnehmen.
Die Agaven blühten oft erst im Sommer oder Herbst. Die von vielen Leuten bestaunten Blüten sollten so lange wie möglich erhalten bleiben. Deshalb machte sich der Bau von "Aloe-Türmen" erforderlich, die auch die Betrachtung der blühenden Pflanzen ermöglichten.
In der Barockzeit wurden die Pflanzen als "Aloe americana" bezeichnet. Eine deutliche Trennung zwischen den Gattungen Aloe und Agave erfolgte erst später. So lautet der offizielle botanische Name der hier beschriebenen Pflanze Agave americana.
Die Agaven in Kübeln zu halten und zur Blüte zu bringen, war eine außergewöhnliche Kunst. Wenn das gelang, so galt das als eine symbolische Auszeichnung für den Besitzer, den Fürsten. Die Schönheit der blühenden Agaven war einmalig. Der in große Höhe emporwachsende Stengel brachte viele tausend Blüten hervor. Meist dauerte es mehrere Jahre, oft Jahrzehnte, bis eine Pflanze Blüten ausbildete. Eine Agave, die 1720 im Schloßgarten von Salzdahlum (heute Ortsteil von Wolfenbüttel) blühte, war zum Beispiel 24 Jahre alt, eine weitere wurde 28 Jahre gepflegt, bis sie 1732 endlich eine Blüte hervorbrachte. In einem königlichen Garten in Dänemark blühten im Jahre 1745 zwei Agaven gleichzeitig — die eine war 50, die andere 52 Jahre alt! Der immense Haltungsaufwand wurde betrieben, weil eine blühende Agave in der damaligen Zeit als ganz besonderer Glücksbringer galt. So machten sich Gärtner und Chronisten die äußerst mühevolle Arbeit, die vielen tausend Blüten zu zählen und die Ergebnisse festzuhalten. Zahlreiche Münzen, Stiche und Schriften geben noch heute darüber Auskunft. Zwischen 1000 und 8000 Blüten pro Pflanze waren die Regel.

  Schlossgarten 1714 Schlossgarten 1714 (Stich)
Eine Besonderheit stellte die 1742 im Lustgarten zu Greiz blühende "Aloe Americana" mit insgesamt 14264 Blüten dar. Die 28jährige Pflanze blühte ein halbes Jahr. In einer zeitgenössischen Beschreibung ist zu lesen:
"Du angenehmes Greitz, da deine Wunderblume / Von vielen Reisenden, zu deinem grossen Ruhme, / Vorietzt beschauet wird: So bin ich auch dabey, / Daß ich der Wunder Pracht getreuer Zeuge sey."
Die Anzucht und Kultivierung von tropischen bzw. aus südlichen Ländern stammenden Stauden, Sträuchern und Bäumen nahm in unseren Breiten in der Mitte des 16. Jahrhunderts ihren Anfang. Zu dieser Zeit erschienen die ersten Schriften zum Heranziehen von Zitronen, Limonen und Orangen. Bei den Arbeiten handelte es sich noch um eine wahre Kunst. Wer sich den Luxus der Haltung exotischer Pflanzen leisten konnte, kam auch in den Genuß der Früchte. Die vielfältige Verwendung wird in einem Aufsatz von Agostino Gallo aus dem Jahre 1569 (Le venti giornate della´gricoltura e de´piaceri della villa) deutlich: "Man zieht Nutzen aus den Zitronenblüten, indem man sie als Salat verzehrt, in Essig eingelegt oder mit Honig und Zucker zu Konfekt verarbeitet. Aus Orangenblüten erzeugt man seltene und erlesene Duftwässer. Was die schönen, reifen Früchte angeht, so weiß jeder, wie sehr man sie bei Festmählern und als Konfitüre schätzt. Auch stellt man mit Orangenschalen wohlschmeckenden Senf, Lebkuchen und andere Delikatessen her."
Doch die Blüten und Früchte waren nicht nur zum Verzehr gedacht. Nach und nach fanden die Pflanzen auch Einzug in die Gärten. In Töpfen und Kübeln kultiviert, zierten sie im Sommer die kunstvoll angelegten Gärten und Terrassen der Schlösser. Im Zeitalter des Hochbarock war die Gartengestaltung ohne Kübelpflanzen undenkbar. Im tristen Winter, wenn die Gärten nicht gerade zum längeren Verweilen einluden, konnte man in den Orangerien durch einen immergrünen, duftenden Hain spazieren gehen.
Im Jahre 1728 sind im fürstlichen Lustgarten zu Zerbst erstmals Agaven aktenkundlich erwähnt. Der Hofgärtner Johann Gottfried Unger und sein Sohn Johann Daniel, der nach dem Tode des Vaters 1720 diese Stellung übernahm, schienen die Kunst der Kultivierung der Agaven zu beherrschen. Die Pflanzen wurden schnell groß, so daß sie in Kübeln kultiviert werden konnten. Die Kübel waren häufig in den Landesfarben Anhalts grün-weiß-rot gestrichen. Die Zerbster Agaven waren im Jahre 1728 bereits so groß, daß sie nur noch mit Hilfsmitteln transportiert bzw. umgepflanzt werden konnten. Neben Erde kamen bei der Verpflanzung Hornspäne als Dünger zum Einsatz. Bereits kurze Zeit später setzte eine der großen Agaven eine Blüte an. Mit Beginn der kalten Jahreszeit wurde eine "Aloe-Turm" errichtet, um die Agave vor Wind und Frost zu schützen.
Weil 1732 einer dieser Türme unansehnlich und defekt war, entwarf der Hofgärtner Unger einen neuen, achteckigen Turm und listete die Baumaterialien auf, die dazu benötigt wurden. Nachdem das Vorhaben von Fürst Johann August von Anhalt-Zerbst (1677-1742) genehmigt war, erging eine Materialanforderung an den fürstlichen Bauhof. Ein Zimmermann errichtete nach Angaben des Gärtners den Turm, der vorwiegend aus Holz und Glas bestand. Über eine Treppe erreichte man einen Umgang in Höhe der Blüte. Als Geländer am Umgang dienten starke Seile. Vom Gang aus konnten die großen, prächtigen Blüten genauestens betrachtet werden. Die hohen Glasfenster, darunter eine Glastür zu ebener Erde auf einer Seite, sorgten für ausreichend Licht. Gegen zu intensive Sonneneinstrahlung waren an den Fenstern Rollos aus Leinen angebracht, die je nach Bedarf herabgelassen oder hochgezogen werden konnten. Setzte Frost ein, so sorgte ein einfacher Kachelofen dafür, daß die Temperatur nicht unter 5 °C sank.
Im Herbst des folgenden Jahres 1733 wurde der über den Sommer abgebaute "Aloe-Turm" des Vorjahres erneut errichtet. Zimmermann Michael Paul Gleichner und Schlosser Christoph Günther behoben leichte Beschädigungen. Der Töpfer Johann George Helmberg war für die Errichtung eines kleinen Ofens im Innern des Turmes zuständig, der von außen mit Holz beheizt werden konnte.
Da jede Agave nur einmal blüht und dann innerhalb eines Jahres abstirbt, mußte ständig für Nachzucht gesorgt werden. So war 1743 im fürstlichen Lustgarten eine stattliche Anzahl zu finden: 16 "Aloe Americana" (Agaven), des weiteren sieben "Aloe Zeulanica" (Aloe aus Ceylon), fünf "Aloe spinosa arborescens" (baumartige stachlige Aloe), vier Perlen-Aloe, fünf Zungen-Aloe und zwei "Aloe spinosa" (stachlige Aloe). Alle Gewächse waren mit gemalten Nummernhaltern bezeichnet, um einen genauen Überblick zu haben.
Etliche Jahre später, 1752, findet sich erneut ein Hinweis auf eine blühende Agave im fürstlichen Lustgarten in Zerbst. Der Hofzimmermeister Balthasar Großkopff sollte einen neuen Umgang anfertigen, da die Blüte höher getrieben war.
In der Folgezeit sind keine blühenden Pflanzen mehr verzeichnet. Der Grund lag in der ständigen Abwesenheit des Regenten seit 1764 sowie in der aufwendigen und kostspieligen Haltung der Pflanzen. Während im Jahre 1743 noch 39 verschiedene Aloe und Agaven vorhanden waren, zählte das Inventar des fürstlichen Gartens in Zerbst im Jahre 1766 nur noch zwei Agaven und acht Aloe in vier unterschiedlichen Arten. Ein Inventar, das 1780 angefertigt wurde, verzeichnet sechs Agaven und neun Aloe, ein weiteres von 1793, als das Fürstenhaus Anhalt-Zerbst erlosch, noch fünf Agaven, drei Perlen-Aloe und drei Zungen-Aloe.
Bereits 1787 ließ der Fürst erstmals Pflanzen aus der Zerbster Orangerie versteigern, darunter auch Agaven. Mit der Umgestaltung des Schloßgartens in einen englischen Landschaftspark ab 1798 sind keine Agaven mehr nachweisbar, die "Aloe-Türme" waren nur noch Geschichte.

Dirk Herrmann

In: Zerbster Heimatkalender 2000, Seite 108—110


Quellen:
Herrmann, Dirk: Schloß Zerbst in Anhalt, fliegenkopf verlag Halle, 1998
Negelein, Joachim: Kurtze Beschreibung der Americanischen Aloe, welche in dem HochGräfl. Reuß
   Plauischen LustGarten zu Obergreitz seit dem 1. November 1742 blühet, Schleitz 1743
Saudan-Skira, Sylvia; Saudan, Michel: Orangerien, Köln 1998


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